der warmen, stillen Sommernacht gewittert haben mochte? Dieses zu überlegen, nahm sich Sibylle nicht die Zeit. Mit gleichen Füßen sprang sie dem Schlosshofe zu. Noch fand sie dessen Pförtchen geöffnet, weil der Schlosshauptmann nicht von einem Besuche
aus Öderan zurückgekehrt war.
Sibylle begab sich anfänglich in das Brunnenhauschen, welches im Schlosshofe über den dort befindlichen, einige hundert Ellen tiefen Brunnen erbaut ist. Als aber das Mondlicht sich durch dasselbe hereinstahl und die schwarz ausgähnende Tiefe und das große Triebrad, welches von Ochsen in Bewegung gesetzt wird, beleuchtete, ward der jungen Sünderin ganz schaurig zu Mute. Hatte sie vorhin das Gebrüll eines wilden Tieres vertrieben, so war es jetzt im Gegensatze die tiefe, ringsum herrschende Stille, welche sie zu erdrücken drohte. Der weite, offene Brunnen kam ihr vor wie der Eingang zur Unterwelt, zur Hölle, zum Grabe, und wirklich wehte sie auch ein feuchtkalter Grabeshauch aus der finstern Öffnung an. Dazu das hohe Rad, dessen Speichen Sibylle zu zermalmen drohten, wenn es in Bewegung gesetzt wurde. Mit jeder Minute stieg Sibyllens Zaghaftigkeit. Gleichwohl fürchtete sie
sich wiederum, einen neuen Versteck auszusuchen.
Die Grabesruhe um Sibylle wurde zuweilen durch das Losbröckeln eines Kalkstückchens unterbrochen, welches unter einem leisen Geräusche von der Mauer sich trennte und in des Brunnens Tiefe hinabsank, wo es wie der schwere Seufzer eines leidenden Menschen bei dem
Berühren der Wasserfläche wiederklang. Bald machte
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