< zurückblättern Inhalt vorblättern >

            Dem ehrlichen Manne blieb der Bissen des Abendbrotes, welches er eben verzehrte, im Munde stecken. Die kleine Schuldige erblasste und wendete verlegen ihr Antlitz bei Seite, denn ihres Pflegevaters Auge richtete sich sträflich und sengend auf sie.

            „Eine Spitzbübin!“ Sprach Fingerling erschrocken, und legte sein Messer hin. „Eine Diebin haben wir erzogen! Heiliger Gott! Womit haben wir das an dem Mädel verdient? Unglückliche! Und du konntest wagen, mir wieder unter die Augen zu treten?“

            Sibylle fing an zu weinen. Ihr Antlitz in ihre Schürze bergend, schluchzte sie: „Ich will es ja nicht wieder tun! Es war ja nur ein Kamm!“

            „Nur ein Kamm.“ versetzte Fingerling zornig. „Nur eine Stecknadel! Nur ein Bleistift! Siehe da, die Ausrede aller Diebe! Ich aber sage dir, ergib dich dem Teufel bei einem Haare, so bist du sein auf ewig. Denn mit dem Kleinen fängt man an, und mit dem Großen hört man auf. Wie aber lautet das siebente Gebot: Du sollst nicht stehlen! Unser Herrgott sagt nicht: Du sollst das Große nicht, darfst jedoch das Kleine stehlen. Die Bibel droht: Die Diebe sollen das Reich Gottes nicht ererben. Und des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss. Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten. Und mit dem Diebstahle geht einher Hand in Hand die Lüge. Der Herr aber bringet die Lügner um. Dies sage nicht ich, sondern der starke und eifrige Gott, der nicht ungestraft lässet die Sünde und das Übertreten seiner heiligen Gebote.“

59

< zurückblättern Inhalt vorblättern >