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            Wer der Dicke ist, kann ich nicht sagen. Das junge Menschlein ist Prinz Lieschen.

            Prinz Lieschen? - Gibt's denn einen solchen Prinzen hier?

            Niemand wollte auf seine neugierigen Fragen antworten, denn alle sahen unverwandt auf die Insassen des Wagens.

            Silbermann sah das ungleiche Männerpaar aussteigen, zum Tor am Taschenberge hineinschreiten, und entfernte sich endlich mit der Menge. Um etwas näheres über den ihm befremdeten Umstand zu hören, ging er in eine nahe Wirtschaft, die mit Gästen überfüllt war, wo er aber einiges Licht durch die Gespräche mehrer Bürger erhielt. Wir referieren in der Kürze über Prinz Lieschen Folgendes:

            Einst hatte sie in einem alten Buche die Geschichte eines kühnen Abenteurers gelesen, der arm in die weite Welt gegangen, mancherlei merkwürdige Schicksale erlebt und zuletzt als reicher Mann wieder ins eine Heimat gekommen war. Diese Erzählung erfasste ihr ganzes Gemüt. Ihm nach! dachte sie; - zog, als ihr Vater auf einige Tage verreist war, dessen schwarze Festkleider an, die dem starken, gut gewachsenen Mädchen ziemlich passten, und entfernte sich eines Abends bei Nacht und Nebel.

            Ihre wenigen Groschen waren bald ausgegeben und da sie mehre Landsleute für einen jungen Lehrer angesehen hatten, so benutzte sie diesen Umstand, gab sich für einen dienstlosen Schulmeister aus und hatte sogar den Mut, Pfarrherren und Rittergutsbesitzer um ein Viatikum [Reisegeld] anzusprechen, die dem ehrlichen, vielversprechenden Gesichte arglos trauten und ihr gern einige Groschen mehr, als andern weniger ansehnlichen Persönlichkeiten in die Hände drückten.

            So kam sie eines Tages auf dem Schlosse Augustusburg an. Der Oberfischmeister von Günther saß eben auf einer Bank am Schlossplatze, gab seinen Gedanken Audienz, als der angebliche Lehrer bittend vor ihm stand. Dem ergrauten Edelmanne fiel die Person auf; einen so leichten, zierlichen Gang, eine so klangvolle Stimme, ein so edel geformtes Gesicht und eine so wohl gesetzte, bescheidene, fast schüchterne Sprechweise war ihm noch bei keinem Lehrer vorgekommen. Der Gedanke führ ihm wie ein Blitz durch den Kopf: "Das ist im Leben kein Dorfschulmeister! Das ist ein verkleideter Edelmann seinen Manieren nach, vielleicht - o Himmel, welch' ein Glück! - vielleicht gar unser geliebter Kronprinz Friedrich August, die Hoffnung des ganzen Landes. - Auf Ehre! - er sieht ihm ähnlich, wie ein Ei dem andern." -

            Die Sachsen machten sich in der damaligen Zeit überaus große Hoffnungen auf den Kurprinzen und erwarteten, mit seiner Regierung werde das goldene Zeitalter eintreten, und diese Hoffnung

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